Plädoyer für den Anwaltberuf

Der Verfasser war lange Jahre als Arbeitsgemeinschaftsleiter im Rahmen der Referendarsausbildung tätig. Dem Unterrichtsskript war das nachstehende Plädoyer vorangestellt. Es hat für angehende Volljuristen nichts an Aktualität verloren.

Das Berufsbild der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts ist recht breit gefächert. So ist die Arbeit eines am Bundesgerichtshof tätigen Rechtsanwalts, der sich ausschließlich mit Revisionen befasst und selten einen Mandanten zu sehen bekommt, überhaupt nicht vergleichbar mit der des Unterzeichners, der zusammen mit zwei Kollegen eine vorwiegend zivilrechtlich ausgerichtete Landpraxis betreibt; hier ist neben der Lösung meist alltäglicher Rechtsprobleme die umfassende Betreuung des (Stamm-) Mandanten gefragt. Der Rechtsanwalt in einer derartigen Praxis ist nicht nur Rechtsanwender oder gar bloßer Rechtstechniker, sondern auch (manchmal insbesondere) Sozialarbeiter und Seelentröster, kurz: Helfer des Mandanten in allen für ihn rechtlich problematischen Lebenslagen. Es ist dies eine ausgesprochen befriedigende und erfüllende Tätigkeit. Wenn das etwas für Sie ist: Werden Sie Rechtsanwalt!

Wenn Sie allerdings eher auf Ruhe & Entspannung in einem juristischen Beruf aus sind, so warne ich: Werden Sie auf keinen Fall Rechtsanwalt! Der Beruf fordert weit mehr als 38,5 Wochenarbeitsstunden, er fordert Ihre volle Kraft. Und das nicht - wie ich früher fälschlicherweise angenommen habe - nur zu Beginn des Berufslebens, sondern bis zum Ruhestand. Vielleicht wird es dann, wenn Sie als selbständiger Rechtsanwalt (rechtzeitig!) vor dem Ende des aktiven Berufslebens einen befähigten Nachfolger gefunden haben und ihn in diesen Beruf eingeführt haben, etwas ruhiger; das aber wage ich nur für eine kurze Phase des Übergangs zu prognostizieren.

Aber der Einsatz lohnt sich. In finanzieller Hinsicht werden Sie bezogen auf die Arbeitszeit zwar vermutlich schlechter stehen als ein routinierter Amtsrichter, der sein Dezernat im Griff hat und mit wöchentlich 30 Arbeitsstunden auskommt. Neben der eigentlichen juristischen Arbeit werden Sie sich - nicht zuletzt wegen der Mandantenakquise - ehrenamtlich engagieren und sich um Organisationsfragen kümmern müssen, was nicht wenig Ihrer ohnehin knappen Zeit in Anspruch nehmen wird. Nicht in Geld zu bemessen ist aber die Erfüllung, die dieser Beruf Ihnen bietet und die Freiheit, wenn Sie ihn selbständig ausüben.

Beruf kommt von Berufung. Sie sollten den Beruf des Rechtsanwalts nur dann wählen, wenn Sie sich dazu wirklich berufen fühlen. Während der Anwaltsstation werden Sie einen guten Einblick in die Tätigkeit des Rechtsanwalts erhalten. Lassen Sie sich nicht nur mit Literaturrecherche und der Aufarbeitung kniffeliger Rechtsfragen beschäftigen. Bestehen Sie darauf, an vielen Mandantengesprächen teilzunehmen und gegebenenfalls auch selbst welche zu führen, arbeiten Sie sozusagen an der Front, suchen Sie kreative (mit) nach in jeder Hinsicht adäquaten Lösungen für die Probleme der Mandanten. Und wenn man Sie während der Anwaltsstation nicht lässt, wie Sie gerne möchten: wechseln Sie den Ausbilder.

Ihre Ausbilder sind meist gerne bereit, Sie auszubilden, (Praxis-) Wissen weiterzugeben. Wenn das - für Sie! - erfolgreich umgesetzt werden soll, setzt es auf Ihrer Seite nicht nur eine "Ausbildungsbereitschaft" voraus, sondern eine Ausbildungsgier, na gut Neugier (+ Engagement!) reicht mir schon. Dabei sollten Sie über solide Kenntnisse im materiellen Recht verfügen, vorhandene Defizite gegebenenfalls durch intensive Nacharbeit frühzeitig beseitigen.

Nutzen Sie die Rechtsanwaltsstation also nicht als Tauchstation für die Vorbereitung auf die große Staatsprüfung, sondern als Chance zur Vorbereitung auf Ihre Berufstätigkeit. Die Examensnoten nämlich sind für die erfolgreiche Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts nicht in erster Linie entscheidend. Sie geben lediglich verhältnismäßig grob Auskunft über den Stand Ihrer juristischen Kenntnisse und Befähigungen. Wenn Sie - vielleicht durch ein ehrliches Zeugnis Ihres anwaltlichen Ausbilders - nachweisen können, dass Sie die Probleme der Mandanten rasch, kreativ und tatkräftig lösen können, sollten Sie den Malus eines nicht so gut gelungenen Examens überwinden und so den Weg ins Bewerbungsgespräch finden können.

Der Jurist, vor allem der Rechtsanwalt, lebt vom (gesprochenen und geschriebenen) Wort. Er muss den Mandanten, den Richter, den gegnerischen Kollegen, den Sachbearbeiter einer Versicherung und/oder wen auch immer, überzeugen. Es nützt ihm also nichts, wenn er zwar rasch, kreativ und tatkräftig arbeitet, seine guten, möglicherweise originellen Gedanken indes nicht "rüberbringen" kann. Allein mit dem Erwerb des Abiturs und dem Bestehen der Ersten Staatsprüfung ist es in Bezug auf das mündliche und schriftliche Sprachvermögen nicht getan. Durch die Korrektur einer Vielzahl von Hausarbeiten im Rahmen des Referendarexamens bin ich leidgeprüft: Es ist sehr mühsam, sich durch vermeintliche Subsumtionen, die immer wieder mit dem dürren Hauptsatz "Fraglich ist, ..." beginnen und mit einem absatzlangen Schachtelsatz fortfahren, zu kämpfen und nach den Gedanken des Verfassers zu forschen. Schriftsätze einiger Kollegen, die es immer noch nicht - wie auch? - gelernt haben, tun ihr übriges. Der Verfasser solcher Texte begibt sich damit der Chance, den Leser für sich einzunehmen. Was tun? (= alter Lenin-Schnack): 1. Erst denken & ordnen, dann schreiben. 2. Schreiben Sie adressatenbezogen. Es kommt also nicht darauf an, dass Sie das, was Sie gedacht haben, nur auf´s Papier bringen, quasi im Sinne eines intellektuellen Befreiungsschlags, sondern darauf, dass der Adressat Ihrer Ausarbeitung, Ihre Gedanken einfach und leicht nachvollziehen kann. 3. Einfach und leicht bedeutet: gut gegliedert, in ordentlichem Stil und grammatikalisch einwandfrei. Dass Sie dabei juristisch korrekt formulieren, setze ich voraus. Arbeiten Sie daran. Immer.

Zwei Bemerkungen zum Schluss: Der Rechtsanwalt ist Organ der Rechtspflege. Das sollten Sie ernst nehmen! Bleiben Sie sauber! Jede Maßnahme, die auch nur in die Nähe der Illegalität gerät, macht Sie angreifbar (zumal mindestens der Mandant darüber Bescheid wissen dürfte) und am Ende steht vielleicht sogar Ihre Zulassung auf dem Spiel. Aber auch als Organ der Rechtspflege muss der Rechtsanwalt jeden Tag wieder Geld verdienen, zunächst einmal, um seinen Bürobetrieb zu finanzieren & den Bundesfinanzminister zufrieden zu stellen, aber auch, um am Ende selbst etwas übrig zu haben. Es ist also unerlässlich, sich mit Marketingfragen auseinanderzusetzen.

So, und nun starten Sie durch in den schönsten & anstrengendsten Beruf, den die Juristerei parat hat! Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg und würde mich freuen, Ihnen gelegentlich als Kollegen zu begegnen und das Florett (nicht den Säbel!) mit Ihnen zu kreuzen. Bis dahin.